x Schließen
 Zurück

DIE NICHT ENDEN WOLLENDE RENTENREFORM

Das Duell zwischen einer geschlossenen Gewerkschaftsfront und der Regierung

Die Diskussion um die Gestaltung der Renten beschäftigt Frankreich seit nunmehr 40 Jahren.

Am 1. April 1983 wurde ein wichtiges Wahlversprechen des neu gewählten sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterand umgesetzt:

die Rückführung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von bis dahin 65 auf 60 Jahre, wobei die Beitragszahlungsdauer für einen Anspruch auf Vollrente von 37,5 Jahren bestehen blieb.

Bereits zehn Jahre (1993) später – noch unter der Präsidentschaft von Francois Mitterand, aber unter einer rechtsorientierten Regierung, – wurde die Länge der Beitragszahlungen auf 41 bzw. 42 Jahre erhöht; dies betraf jedoch nur den Privatsektor. Der in 1995 von dem gerade neugewählten Präsidenten Jacques Chirac unternommene Versuch, die obligatorischen Rentenbeitragszahlungen im öffentlichen Dienst denen der Privatwirtschaft anzupassen, scheiterte kläglich. Die wochenlang andauernden Streiks mit verheerenden wirtschaftlichen Folgen zwangen die Regierung, das Gesetzesvorhaben zurückzunehmen.

In 2010 blieb Präsident Nicolas Sarkozy trotz heftigster Protestbewegungen standhaft: Das Rentenalter wurde nun auf 62 Jahre angehoben. Die letzte Änderung erfolgte dann noch in 2014 durch die „Touraine“-Reform. Nunmehr müssen alle ab 1973 geborenen Arbeitnehmer mindestens 43 Jahre in die öffentliche Rentenkasse einzahlen, um eine abschlagsfreie Rente beanspruchen zu können.

Über den weiteren Verlauf der französischen „Rentenkrise“ haben wir in der Vergangenheit ausführlich berichtet. Der erste Versuch von Emmanuel Macron in 2019/2020 – eine äußerst ehrgeizige und hochkomplizierte Reform, die auch zur Vereinheitlichung der 43 bestehenden Rentenkassen führen sollte, – wurde damals heftigst bekämpft und fiel dann der Coronakrise zum Opfer.

Der nunmehr hoffentlich letzte Reformversuch ist ein wichtiger Teil des Wahlprogramms des im April 2022 wiedergewählten Präsidenten Emmanuel Macron. Der nun vorliegende Regierungsentwurf hat relativ wenig gemeinsam mit dem ursprünglichen „Quantensprung“ des Reformvorhabens von 2019. Der neue Reformvorschlag begrenzt sich im Wesentlichen auf die Anhebung des Renteneintrittsalters auf 64 Jahre – ursprünglich waren noch 65 Jahre vorgesehen – und die Erhöhung der Beitragszahlungen auf maximal 44 Jahre.

Die Gewerkschaften erklärten von Anfang an ihre strikte Ablehnung des neuen Gesetzesvorschlags, woran sich auch in der Zwischenzeit nichts änderte.

Neu ist aber nunmehr, dass eine geschlossene Gewerkschaftsfront, die in der jüngeren Vergangenheit nicht bestand, der Regierung gegenübersteht. Selbst der Generalsekretär der CFDT, Laurent Berger, ein charismatischer, eigentlich gemäßigter Gewerkschaftsboss, lehnt jegliche Erhöhung des Rentenalters kategorisch ab und zeigt keinerlei Kompromissbereitschaft zu diesem Punkt.

In der Vorgehensweise sind sich die beiden Hauptgewerkschaften CFDT und CGT wesentlich weniger einig. So bevorzugt die gemäßigtere CFDT gezielte punktuelle Streiks, wohingegen die wesentlich radikalere CGT länger andauernde und verlängerbare Arbeitsniederlegungen, die teilweise auf eine totale Lahmlegung wichtiger Schlüsselindustriezweige z.B. von Raffinerien, Verkehrsbetrieben etc. abzielen, bevorzugt.

Einen Vorgeschmack haben bereits die ersten beiden großen Demonstrationen und Streiktage vom 19. und 31. Januar 2023 gegeben.

Mehr als 1 Million Teilnehmer waren an beiden Tagen an mindestens 200 Versammlungen und verschiedenen, punktuellen Streiks vertreten, wobei am 31.

Januar die Zahl der Teilnehmer insgesamt nochmals stieg, hingegen die der effektiv Streikenden leicht rückgängig war. Damit wurden

die Zahlen, die in 2010 bei den Protesten gegen die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters auf 62 Jahre verzeichnet wurden, weit überschritten. Für den 7. und 11. Februar sind bereits weitere Demonstrationen vorgesehen, wobei die CGT noch zusätzlich längere Streiks ankündigen möchte.

Die weitere Entwicklung auf der Straße ist äußerst ungewiss, wobei eine noch größere Radikalisierung nicht auszuschließen ist. Nach einer Umfrage, die nach dem 31. Januar erfolgte, wird die Protestbewegung gegen die Rentenreform – nochmals ansteigend – von ca. 71% der Franzosen bejaht, wohingegen immer noch 55% eine grundsätzliche Reform des bestehenden Rentensystems für notwendig erachten.

Es bleibt aber abzuwarten, wie sich die öffentliche Meinung durch den Druck der Straße und eine mögliche Erhöhung der Gangart bei den Gewerkschaften entwickelt.

Kontaktieren Sie unser Team